Bauernhaus Wiese in Lenne

Bild 1: Bauernhaus aus dem Jahre 1794

Die Hausinschrift des Giebelbalkens gibt das Baujahr des Hauses preis: 1794, und im tiefer gelegenen Schwellbalken ( 1 ) auch die Erbauer des Hauses: Anton Thoene genannt Schräder und seine Frau Anna Eva, geb. Schröder. Damit gehört das Gebäude zu der ältesten erhaltenen Bausubstanz des Ortsteils Lenne. Seit 1996 steht das Bauernhaus unter Denkmalschutz.

Der Familienname änderte sich 1824 durch Heirat der Nachkommin der Erbauer in den Namen Wiese, sodass seitdem das Gebäude das Bauernhaus Wiese genannt wird. Das bäuerliche Haupthaus ist in seiner Gestalt und Konstruktion charakteristisch für die sauerländische Region und prägt gemeinsam mit anderen ortsmittig gelegenen Fachwerk- und Bauernhäusern das Dorfbild von Lenne.

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Bild 2: Ansicht Giebelseite

Das Bauernhaus wurde als Längsdeelenhaus ( 2 ) errichtet, oft auch als niederdeutsches Hallenhaus beschrieben, ursprünglich ein Wohnstallhaus oder Hallenhaus der bäuerlichen Bevölkerung in Fachwerkbauweise. Das Sockelgeschoss wurde massiv errichtet, das Obergeschoss in schwarz-weißem Fachwerk mit quadratischen Gefachen ausgeführt. Die Schauseite des Hauses, die Giebelfront, wurde entsprechend sorgfältig gestaltet und reich beschnitzt.

Bild 3: Dielentor mit Inschriften

Giebelseite

Die Hausinschrift nennt die Erbauer des Hauses. Der Schwellbalken des Giebels trägt die Inschrift:

DIESES HAUS HATT GEBAUET ANTON THOENE GENANT SCHRÄDER — UND ANNA EVA GEB SCHRÖDER — KH STEHE UNTER DEM SCHUZ IESUS MARIA IOSEF UND DER IUNGFRAU AGATA ORA PRO NOBIS SALMEN DAVIT ALLES GOTT ZU LIEB

Das ursprüngliche Deelentor ist noch erhalten. Sein Torbalken trägt die Inschrift:

DIE DA GEHEN AUS + EIN SANT AGATA BITTE FÜR UNS

GOTT BEWARE DIESES HAUS UND ALLE MENCHEN

Die Knaggen ( 3 ) des Fachwerks sind mit geschnitztem Blattwerk verziert. Ebenso reich sind die Eckständer des Hauses und das Giebeldreieck mit Schnitzwerk geschmückt.

Die Fenster der Giebelseite haben sich im Laufe der Zeit in der Sprossenteilung verändert.

Das links der Giebelfront als Flügel angebaute Wirtschaftsgebäude wurde erst 1905 errichtet und ist nicht Bestandteil des Denkmals.

Traufenseite

Die Traufenseite des Hauses, die Tropfseite mit der langen Dachrinne, wurde besonders im Erdgeschoss stark verändert, die Fenster im Obergeschoss versetzt und in der Sprossenteilung erneuert.

Bild 4: Traufenseite mit Eingangstür und Heiligenhäuschen

An der Traufenseite rechts befindet sich ein in Backstein gesetztes und mit einem Schiefergiebel versehenes neugotisches Heiligenhäuschen für eine Pieta, die aus Gips gefertigt wurde. Vermutlich ist das Häuschen um 1890 gebaut worden.

Bild 5: Heiligenhäuschen

Dach

Das Satteldach des Hauses ist schiefergedeckt. Im Jahr 1974 wurde das bis dahin vorhandene Schieferdach abgetragen und mit einem Kunstschieferdach ersetzt. Jedoch im Jahr 2012 ließ der Eigentümer das Dach erneut mit Naturschiefer eindecken. Lediglich ein Teil des Daches des angebauten Wirtschaftsgebäudes besitzt noch den Kunstschiefer aus dem Jahr 1974.

Das Innere des Hauses

Aus der ursprünglichen Nutzung des Hauses erklärt sich die Position des Gebäudes als langgestrecktes Hallenhaus mit einer großen Deelentür als Hauptzugang. Im vorderen Teil der Diele (Deele) kamen das Fuhrwerk und das Vieh unter, das zwischen den Ständerbalken seine Stallungen fand. Die Wohnräume befanden sich dadurch nicht im vorderen Teil der Diele, sondern an der Rückseite des Hauses, was auch heute noch der Fall ist.

Das in Eiche ausgeführte Ständerwerk ist auch heute noch als offene Balkenkonstruktion im vorderen Teil der Diele sichtbar. Im Jahr 2005 wurden die Ständerbalken der Diele durch neue Eichenbalken ersetzt.

Bild 6: Mosaikboden

Noch aus der Zeit der Erbauung des Hauses stammt der Deelenboden. Mit dunklen, etwa je 10 cm breiten und langen und 2 cm dicken Kieselsteinen des Baches Uentrop, der südlich des Gebäudes über das Grundstück fließt, wurde mit hochkant verlegten Steinen ein Mosaikboden im Fischgrätmuster verlegt. Man erkennt noch die durch Fuhrwerkräder stark belasteten Partien des Bodens.

Das Bauernhaus wurde 1794 erbaut. Nach den vorliegenden Aufzeichnungen werden die Erbauer und nachfolgenden Besitzer des Bauernhofes meist als „Ackersmänner“ ( 4 ) bezeichnet.

Die Hausinschriften benennen die Erbauer des Hauses. Anna Eva Schröder war Hoferbin, sie wurde 1746 geboren und starb im Jahr 1819. Am 18.10.1770 heiratete sie den Ackersmann Anton Thöne, genannt Schröder (Schräder), der 1736 in Felbecke geboren wurde und 1810 in Lenne starb.

Der heutige Name „Wiese“ wird zum ersten Mal für das Jahre 1824 erwähnt. Eine Nachfahrin des Erbauerpaares, die Hoferbin Anna Maria Elisabeth Thöne, genannt Schröder, die 1787 in Lenne geboren wurde und dort 1842 starb, heiratete am 23.05.1824 den Ackersmann Jakob Wiese aus Lenne. Bis heute ist durch Erbfolge dieser Name erhalten geblieben. Der heutige Besitzer ist Stefan Wiese.

Bild 7: Ansicht 1929

Die Fotografie von 1929 zeigt die Großmutter des heutigen Besitzers sowie zwei Tanten und einen Onkel. Die Großmutter Maria Wiese geb. Belke wurde 1883 in Winkhausen geboren und starb 1957 in Lenne. Gemeinsam mit ihrem Mann Franz Wiese, der von 1871 bis 1936 auf dem Hof in Lenne lebte, hatte sie vier Kinder. Drei ihrer Kinder, die auf dem Foto abgebildet sind, starben schon zu Lebzeiten der Mutter im Alter von 20, 24 und 31 Jahren, zwei von ihnen in den Nachkriegsjahren an Tuberkulose. Ihr 1918 geborener Sohn Josef, Vater des heutigen Besitzers, wurde 80 Jahre alt.

Mit dem Ende des zweiten Weltkrieges kamen Flüchtlinge aus den Ostgebieten auch nach Lenne. Auf dem Grundstück Wiese wurde nordöstlich des Hauses eine eingeschossige Holzbaracke als Flüchtlingsunterkunft errichtet.

Bild 8: Flüchtlingsbaracke

Auch im Bauernhaus Wiese kamen – wie in vielen anderen Häusern – Flüchtlinge unter. Bis 1958 lebten noch fünf Personen aus Niederschlesien im Haus der Familie Wiese, die während dieser Zeit gleichzeitig zwei Kinder verlor.

Auf dem Hof fand bis 1984 eine Komplettbewirtschaftung mit Ackerbau und Viehwirtschaft (Schweine, Kühe) statt. Die auf der Aufnahme von 1929 erkennbare Heuklappe im Giebel wurde erst bei Umbauarbeiten 1986 entfernt. Die letzten Tiere wurden 1994 verkauft.

Bild 9: Ansicht um 1997

Mehrere wissenschaftliche Gründe beschreiben die Denkmaleigenschaft des Kernbaus des Bauernhauses, das für den ehemals selbstständigen Ort Lenne zur ursprünglichen baulichen Ausstattung des Ortes gehört:

  1. Die Bauausführung entspricht formal der Bauweise ehemaliger Längsdeelenhäuser. Die landschafts- und ortstypische Bauweise zeigt sich in dem massiven Erdgeschoss und dem Fachwerkobergeschoss des errichteten Gebäudes.
  2.  Im Schwellbalken des Giebels und im Torbalken finden sich familiengeschichtlich wichtige Inschriften.
  3. Die Baukörper des Bauernhofes zeigen die Entwicklung der landwirtschaftlichen Arbeits- und Produktionsverhältnisse am Ort.
  4. Das Gebäude bildet die landwirtschaftlich gebundene und typische Fachwerkbauweise ab und besitzt besonders vollständig die charakteristischen Verstrebungsfiguren. Zu betonen sind die quadratisch angeordneten Gefache und der reich beschnitzte Giebel. Das Fachwerk zeigt die typische, reiche Gestaltung des ausgehenden 18. Jahrhundert mit geschnitzten Eckständern, geschnitztem Torgestell und reich gestaltetem Giebeldreieck.
  5. In ortsgeschichtlicher, hauskundlicher und volkskundlicher Hinsicht ist es bedeutend aufgrund seiner Konstruktion, Gestalt und der erhaltenen Grundriss-Struktur der bäuerlichen Haupthäuser in der Region. Es gehört zur ältesten erhaltenen Bausubstanz im Ort Lenne.

Benutzte Literatur:

Josef Lauber: Stammreihen sauerländischer Familien. Band IV: Kirchspiel Berghausen, Fleckenberg, Lenne. Bonn 1977.

Josef Lauber: Stammreihen sauerländischer Familien. Band V: Kirchspiel Wormbach Bonn 1977.

Stadt Schmallenberg, Denkmalregister Baudenkmal, Denkmalkarteikarte Lenne, Uentropstraße 20, Listenteil A, lfd. Nr. 182, 03.12.1996

Hermann-Josef Feldmann: Lenne, Silberdorf 1998. In: Sauerland. Sauerländer Heimatbund Nr. 1/1999

Seite „Hallenhaus“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 27. März 2022, 22:49 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Hallenhaus&oldid=221557641 (Abgerufen: 24. April 2022, 21:24 UTC)

Bildnachweise:

  1. Gilbert Förtsch (2021) Bauernhaus Wiese
  2. Gilbert Förtsch (2021) Ansicht Giebelseite
  3. Gilbert Förtsch (2021) Dielentor
  4. Gilbert Förtsch (2022) Traufenseite mit Eingangstür
  5. Dagmar Sträter-Müller (2022)            Heiligenhäuschen
  6. Gilbert Förtsch (2022) Mosaikboden
  7. Heimat- und Verkehrsverein Lenne (Hg.): Lenne und Hundesossen – Im Spiegel von Jahrzehnten. Bad Fredeburg, 1997 (Ansicht 1929)
  8. Heimat- und Verkehrsverein Lenne (Hg.): Lenne und Hundesossen – Im Spiegel von Jahrzehnten. Bad Fredeburg, 1997 (Flüchtlingsbaracke)
  9. Heimat- und Verkehrsverein Lenne (Hg.): Lenne und Hundesossen – Im Spiegel von Jahrzehnten. Bad Fredeburg, 1997 (Ansicht 1997)


Erläuterungen:

  1. Ein Schwellbalken ist ein waagerecht liegender durchlaufender Holzbalken, der auf dem Ständerwerk aufliegt.
  2. Ein Deelenhaus, Hallenhaus oder Längsdeelenhaus erkennt man an dem großen Einfahrtstor an der Giebelseite, der Fachwerkbauweise und der erst im Inneren sichtbaren Holz-Innenkonstruktion in Ständerbauweise. Sie ist der tragende Teil des gesamten Gebäudes. Anfänglich wurde das Ständerwerk aus Eichenholz, ab dem 18. Jahrhundert auch aus Kiefernholz gezimmert. Der Holzaufbau ruht auf einem Steinsockel, der vor Nässe schützt. Die Außenwände des Gebäudes sind nichttragend und in Fachwerk gebaut, wobei die Gefache, die Zwischenräume, ursprünglich mit Weidengeflecht sowie Lehm und später mit Mauerwerk ausgefüllt wurden. Die Ständerreihen sind der Länge nach im Haus angeordnet, auf ihnen ruhen die Deckenbalken. Die Ständerreihen bilden die charakteristische Diele. Die seitlichen Bereiche rechts und links der Ständerreihen enthielten v.a. die Ställe mit nicht-tragenden Seitenwänden.
    Ursprünglich befanden sich die Wohnräume nicht wie bei anderen Häusern auf der „Schauseite“, der Giebelseite mit dem Dielentor, sondern an der Rückseite, am hinteren Ende der Diele.
  3. Knaggen im Fachwerk sind dreieckige Holzelemente, die eine Verbindung zur Aussteifung und Abtragung von Lasten zwischen den Ständern und Deckenbalken herstellen.
  4. Ein Ackersmann, auch „Vollspänner“ genannt, stand im 18. Jahrhundert in der bäuerlichen Hierarchie an erster Stelle. Er bewirtschaftete wenigstens 4 Hufen Land (1 preußische Hufe entspricht etwa 16,5 ha).

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Entwurf und Text:
Gilbert Förtsch / Dagmar Sträter-Müller im Jahre 2022


IMPRESSUM / DATENSCHUTZ

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